Vor kurzem rufe ich ganz ohne Bedenken einen Freund von mir an, um mich zu erkundigen, wie es ihm bei seinem Familienbesuch geht. Er antwortet mir mit aufgewühlter Stimme:„Ich bin gerade auf einem Schlachtfeld, Anna. Hier kämpfen zwei Dinka-Clans um Land. Gerade wurde eine schwangere Frau angeschossen. Hörst du die Schüsse?“ Das tue ich. Zuerst in langen Abständen, dann plötzlich ganz viele hintereinander. Ich höre am Telefon, wie Menschen aufeinander schießen. Mein Atem geht schneller. Davon in der Zeitung zu lesen ist eine Sache, es in diesem Moment praktisch live mitzubekommen eine andere.
Eine Woche später sitze ich vor dem Haus einer Freundin und trinke Tee. Vor dem Nachbarhaus spielen ungestüm Kinder. Ich muss über ihre Freude lachen. Bis ich merke, dass jedes Kind einen Holzstecken in der Hand hat. Ein Bub zielt mit dem Stecken auf seinen Spielkameraden. Der greift sich auf die Brust und fällt zuckend zu Boden. Dann rappelt er sich hastig wieder auf und lacht. Das Spiel geht weiter. Ein Mädchen schreit laute Befehle. Alle Kinder scharen sich um sie. Es wird ein Schlachtplan ausgemacht. Plötzlich wird mir bewusst, wie tief der Krieg noch in den Köpfen der Menschen steckt. Selbst bei denen, die in gar nicht miterlebt haben.
Natürlich weiß ich, dass ich gerade in einem Land lebe, in dem bis vor wenigen Jahren ein grauenhafter Krieg tobte. Natürlich weiß ich, dass ich in einem Land arbeite, in dem Konflikte zwischen Stämmen mit Waffen am helllichten Tag und auf offener Straße ausgetragen werden. Natürlich weiß ich das. Aber irgendwie weiß ich es auch nicht.
Anna Holl
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